Kaunas 2019

Montag, 21.10.2019

Wir machen uns zu Fuß auf zur Kita auf dem Berg in Kaunas, der „litauischsten aller Städte“. Die Sonne scheint, wir sind guter Dinge und fotografieren schon mal das Gebäude der Kita, das an eine Villa erinnert mit schönem Außengelände. Als Evelina erscheint, gehen wir rein. Irgendwie ist der Empfang verhalten. Wir verstehen zwar kein Litauisch, aber die entgeisterten Gesichter lassen vermuten, dass wir nicht wirklich willkommen sind. Keiner ist über unsere Ankunft informiert, die Ansprechpartnerin ist nicht vor Ort. Nach kurzem Hin und Her auf Litauisch klärt sich das Rätsel: wir sind in der richtigen Kita, aber am falschen Ort. Die moderne Vorzeigekita ist in einem anderen Stadtteil! Wir springen in ein Bolt-Taxi und erreichen kaum verspätet die Krippe und Kita „Kauno lopšelis-darželis AVILIUKAS“ – auf Deutsch: der Bienenstock.

Wir staunen über ein modernes Kitagebäude mit sehr weitläufigem Außengelände mitten in einer Plattenbausiedlung. Die stellvertretende Leiterin ist über unseren Besuch informiert und führt uns durch die Einrichtung. 200 Kinder besuchen die städtische Kita, 60 Angestellte arbeiten dort. Wir besichtigen den Raum für die Zwei- bis Dreijährigen und die Gruppe der Vorschulkinder. Einschulungsalter ist 7. Die Räume sind groß, hell und farblich freundlich gestaltet. Jeder Gruppenraum verfügt über: altersentsprechende Materialien, Naturmaterialien, Bücher, eine offene Küchennische, damit die Kinder sehen, was in der Küche passiert, Garderobe, Waschraum und Ruheraum mit Betten, einen Schreibtisch mit internetfähigem Laptop und Drucker. Hier erarbeiten die Erzieherinnen jeden Freitag den digitalen Plan für die nachfolgende Woche, der für alle einsehbar ist. Es wird darin festgehalten, welche drei Bildungsbereiche in der Gruppe, der Kleingruppe und bei einzelnen Kindern gefördert werden sollen.

Alle Gruppen halten selbstverständlich Mittagsschlaf bzw. –ruhe für 2 Stunden. Ein Raum kann von allen Gruppen genutzt werden, um zu forschen und zu experimentieren. Hier bleibt kein Kind sitzen: Lego wird nicht nur waagrecht, sondern auch senkrecht an der Wand gebaut, Fotos werden an die Wand projiziert, Röntgenaufnahmen durchleuchtet, Flüssigkeiten werden gemessen und umgefüllt, Ameisenhaufen werden beobachtet und untersucht, Telefonate werden geführt…

Pro Gruppe sind zwei Erzieherinnen im Schichtdienst tätig, unterstützt von einer Assistentin, die sich um die Pflege des Raumes kümmert. Des Weiteren gibt es eine Logopädin und eine Psychologin sowie weitere Professionen wie die Musiklehrerin in der Kita.

Zum Abschluss inspizieren wir das große Gelände rund um die Kita. Dort gibt es Bereiche mit offenen Häuschen, die eigenen Themen gewidmet sind: Musik, Farben, Rollenspielen etc. Wir sind beeindruckt von der Weitläufigkeit der ganzen Anlage.

Der Männeranteil an Erziehern ist in Litauen unter 1 %. Sonderbarerweise sind aber 18% der Leiter männlichen Geschlechts! 

Die Berufspraktikantin möchte uns einen Teil ihrer neuen Lebenswelt in Kaunas zeigen. Wir besuchen einen großen überdachten Markt. Dort essen wir sehr günstig und lecker zu Mittag und nehmen dann den Oberleitungsbus zurück in die Stadt. Wir machen uns bei der Touristinformation kundig und fahren mit einer Zahnradbahn (Furnicular) auf der anderen Flußseite zur Aussichtsplattform hoch. Auf dem Fußweg zum Hotel kaufen wir Mitbringsel und Leckerli. Es gibt sehr viele Cafés, Restaurants und kleinere Läden.

Dienstag, 22.10.2019

Besuch in der Kita unserer Auszubildenden „Kauno lopšelis-darželis Saulutė“ – das Sönnchen - in der Plattenbausiedlung Dainava. Wir werden begrüßt von der Leiterin, die mit uns in die Vorschulgruppe geht. Dort werden wir von allen erwartet. Die Kinder begrüßen uns und sich untereinander mit einem lautem „Guten Morgen“. Ein Kind teilt Briefumschläge an alle Kinder aus, die ein farbiges Kärtchen enthalten zur Gruppeneinteilung. Es ertönt ein Lied vom Band, die Kinder bilden einen Zug und setzen sich an den vorgesehenen Tisch, wenn ihre Farbe genannt wird. Dort befassen sie sich mit den vorbereiteten Aufgaben, teilweise unterstützt von einer Erwachsenen Person. Außer der Erzieherin sind noch Evelina und die Assistentin unterstützend und anleitend bei den Kindern. Wir beobachten am Rand sitzend und verlassen dann den Raum. Die Leiterin führt uns recht schnell durch die Einrichtung. Wir sehen verschiedene altershomogene Gruppenräume, die ein wenig individuell gestaltet sind, einen Bereich, wo ein Ergotherapeut einen kleinen Parcours für Kinder aufgebaut hat, die dort balancieren üben, den Raum für die Logopädin, den großen Allzweckraum, vor dem die Jüngsten draußen spielen. Dann gehen wir in den Raum der Leiterin, wo wir uns lange über pädagogisches Arbeiten unterhalten. 

Mit der Berufspraktikantin diskutieren wir die sehr instruktive Art der Anleitung und das Spannungsfeld der Erwartungen, die die Anleiterin und die Leiterin haben. Auch das Verhältnis von gruppenbezogener und individueller Arbeit besprechen wir intensiv.

Am Nachmittag besuchen wir die benachbarte Schule Viktoras Kuprevičius. Die stellvertretende Leiterin erklärt uns das Konzept der Nachmittagsbetreuung für die Kinder der Vorschule und der Kinder aus den Klassen 1 bis 8. Es gibt verschiedene AGs, in die sich die Kinder für die Jahre in der Schule einwählen können, die altersheterogen sind. Die Schule nimmt an länderübergreifenden Europaprojekten teil. In diesem Rahmen besuchte unsere Gesprächspartnerin vor kurzem einige Schulen in Berlin. Wir gewinnen den Eindruck, dass die Nachmittagsaktivitäten in der Schule auch eher angeleitet erfolgen. Für alle Kinder gilt, dass am Nachmittag 30 Minuten lang (vor-)gelesen wird. Die Schule bemüht sich, zusätzliche Kräfte finanziert zu bekommen, damit die 30% der Kinder, die Probleme in der Schule haben, besser unterstützt werden können.

Die Kinder tragen eine Schuluniform: ein braun geschecktes Jacket für alle, ein dunkelblaues ärmelloses Kleid für die Mädchen darunter. Beim Schulgebäude fällt uns auf, dass dieses offensichtlich sehr stark sanierungsbedürftig ist. Positiv empfinden wir die Weitläufigkeit des ganzen Geländes mit Trimm-dich-Geräten auf dem angrenzenden Sportplatz, die von den Kindern genutzt werden.

Mittwoch, 23.10.2019

„Kauno lopšelis-darželis Žemyna“: Bei unserem Besuch in dieser Kita gehen wir nach der Begrüßung mit der Stellvertretenden Leiterin zu einer der beiden Montessorigruppen. Beim Betreten des Raumes schlägt uns Stille entgegen. Die Kinder sitzen auf dem Teppich oder am Tisch und sind in ihre selbstgewählten Aufgaben vertieft. Ein Junge ordnet Punkte Zahlen zu, ein Mädchen baut den Rosa Turm, andere machen Körperpuzzle oder schreiben Buchstaben nach. Auch wir bekommen eine Aufgabe und setzen uns auf den Teppich. Wir dürfen eine Additionsaufgabe im Tausenderbereich bearbeiten und wundern uns über die Größe der Zahl. Die Erzieherin erklärt uns, wie die Kinder – und nun wir - die Perlen für die Einer, die Perlenketten für die Zehner, die Quadrate für die Hunderter und die Würfel für die Tausender anordnen sollen, um die Rechenaufgabe zu lösen. Anhand dieser Methode mit Visualisierung können schon Kindergartenkinder mit großen Zahlen hantieren. Als nächstes sollen wir einen Würfel aus vielen verschiedenen rechteckigen Formen so zusammen setzen, dass er wieder in sein Kistchen passt. Wir machen noch weitere Aufgaben und schließen uns den Kindern im Kreislaufen an.

Uns beeindruckt der ruhige und achtsame Umgang der Erzieherin mit den Kindern, so dass es selbst beim lustigen Rollenspiel des Rübenziehens nicht allzu wild wird. Als die Kinder rausgehen, inspizieren wir erst noch das Material im Raum und ziehen dann weiter. Uns wird erklärt, dass in dieser großen Einrichtung unterschiedliche Konzepte verwirklicht werden: es gibt 2 Krippengruppen mit Kindern von 2-3 Jahren, 2 altersgemischte Montessorigruppen (3-5 Jahre), 2 Gruppen „Der gute Anfang“, 2 Vorschulgruppen (6 Jahre) und 2 weitere Gruppen. Die verschiedenen konzeptionellen Schwerpunkte werden durch die Qualifikationen der Erzieherinnen, u.a. Montessoridiplom, ermöglicht. Den Leiterinnen ist bspw. das Waldorfkonzept durch die praktische Arbeit vertraut. Folglich unterstützen sie ihre Mitarbeiterinnen bei der Umsetzung.

Wir erfahren, dass die Einrichtung mit der Universität kooperiert und häufig Praktikantinnen aufnimmt. Die Einrichtung kooperiert auch auf internationaler europäischer Ebene. Erzieherinnen waren bspw. auf Forschungsreisen in Finnland und Deutschland.

Donnerstag, 24.10.2019

Besuch in der – nach Aussagen der Erzieherin einzigen - privaten Kita „Saules gojus“ in Vilnius. Nach einer längeren Fahrt mit dem Taxi stadtauswärts biegen wir auf eine unbefestigte Straße ein. Sind wir hier noch richtig? Da entdecken wir zwischen Wald und Feldern das Gebäude der Kita. Wir sind eingeladen in der bilingualen Gruppe „Kastanie“ zu hospitieren. Die Erzieherin spricht litauisch mit den Kindern, eine Kollegin, Erziehungswissenschaftlerin, spricht deutsch und wird unterstützt von einer Praktikantin aus Hamburg, die gebürtige Litauerin ist, aber in Deutschland aufgewachsen. Ein kleiner Junge versteht jedoch weder litauisch noch deutsch, so dass die Erzieherin auf seiner Muttersprache Russisch mit ihm redet, damit er nicht völlig verloren ist. Es herrscht ein empathischer Umgang mit den Kindern, der Sicherheit vermittelt.

Plötzlich sitzen wir mit den Kindern im Morgenkreis auf dem Teppich. Anhand von Bild- und Schriftkarten auf Augenhöhe der Kinder werden die Jahreszeiten, die Wochentage, die Geburtstage, das Wetter etc. auf Litauisch und Deutsch besprochen. Ein paar Kinder sind ganz aktiv bei der Sache, andere hören nur zu oder beäugen uns ab und zu. Zwei Kinder werden beauftragt, Äpfel aus der Küche für alle zu holen. Auch uns schmeckt der Apfelschnitz. Dann geht es in den Turnraum, wo sich alle zur Musik bewegen. Später sind alle im weitläufige Außengelände, wo die Kinder in kleinen Gruppen und gruppenübergreifend explorieren, was sie gerade interessiert. Uns fällt auf, dass sich die Kinder sehr selbständig in der Natur bewegen. Das Gelände grenzt an einen Wald, in dem sie sich regelmäßig aufhalten, hat verschiedene Spielgeräte, Bäume, Fahrzeuge, eine Fahrradstraße und ein überdachtes „Klassenzimmer im Grünen“. Hier findet wirklich ein intensives Naturerleben über mehrere Stunden täglich statt.

Im Gespräch erfahren wir, dass jedes Jahr im November eine Veranstaltung für alle Eltern stattfindet. Des Weiteren finden Tür- und Angelgespräche nach Bedarf statt oder Eltern tauschen sich telefonisch mit der Erzieherin während der Schlafenszeit der Kinder aus. Außerdem werden gemeinsam Feste gefeiert. 

Da die Kita recht weit außerhalb liegt, unterhält sie einen Shuttlebus, der sowohl die Kinder als auch die Mitarbeiter befördert. Viele Kinder werden aber auch von ihren Eltern gebracht. Es gibt 5 Gruppen an diesem Standort inklusive der U3-Gruppe. Die Vorschulgruppe ist in der Stadt bei der Schule angesiedelt. Die für litauische Verhältnisse sehr hohen Gebühren von ca. 500 € pro Monat stellen für die Eltern kein Problem dar. Viele Eltern verdienen offenbar gut und haben einen internationalen Hintergrund. 

Wir sehen hier die ersten männlichen Erzieher und erfahren, dass bis vor kurzem auch ein deutscher Erzieher in der Einrichtung tätig war. Die Einrichtung hat seit vielen Jahren vielfältige Kooperationen auf europäischem Niveau. Es gibt immer wieder und derzeit mehrere Erasmus-Praktikanten aus unterschiedlichen Herkunftsländern (u.a. Deutschland, Österreich). Außerdem befindet sich die Administration zurzeit zur Fortbildung in Deutschland.